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Rechtsklarheit durch Urteil des Bundesgerichtshofs zum digitalen Nachlass
Ich habe bereits eine Leseranfrage zum digitalen Nachlass gestellt, die in der ESA 03/2018, Seite 50, mit dem Beitrag „Der digitale Nachlass“ beantwortet wurde. In diesem Beitrag wird u.a. ausgeführt, dass die Rechtslage in Deutschland bezüglich des digitalen Nachlasses alles andere als eindeutig sei, was zu großen Problemen in der Praxis führe. Ich habe nun gelesen, dass der Bundesgerichtshof im Juli diesen Jahres mit seinem „Facebook-Urteil“ umfassende Regelungen zum digitalen Nachlass getroffen hat. Wie hat der Bundesgerichtshof den digitalen Nachlass geregelt?
Wie bereits in dem oben erwähnten Beitrag ausgeführt, handelt es sich beim digitalen Nachlass um eine Vielzahl von Rechtspositionen. Der Deutsche Anwaltsverein (DAV) hat diesen Begriff definiert als „die Gesamtheit des digitalen Vermögens, also Urheberrechte, Rechte an Websites, Domains sowie sämtliche Vertragsbeziehungen zwischen Providern und dem Erblasser hinsichtlich der Nutzung des Internets selbst, aber auch hinsichtlich diverser Internetangebote, beispielsweise Verträge über den Zugang zu sozialen Netzwerken, E-Mail-Dienste, Internetportale etc., und erfasst damit auch die Gesamtheit aller Accounts und Daten des Erblassers im Internet“.
Bisher war umstritten, ob und in welchem Umfang der digitale Nachlass vererblich ist.
Aufgrund des am 12.07.2018 verkündeten Urteils des Bundesgerichtshofs (BGH) hat das soziale Netzwerk Facebook den Erben Zugriff auf das Facebook-Konto des Erblassers zu gewähren. Dieser Entscheidung kommt über den konkreten Fall hinaus große Bedeutung zu, denn der BGH klärte offene Rechtsfragen hinsichtlich des digitalen Nachlasses, die seit langem kontrovers diskutiert werden.
Gegenstand des BGH-Urteils war der Anspruch einer Mutter, Zugriff auf das Facebook-Konto ihrer verstorbenen fünfzehnjärigen Tochter zu erhalten. Die Tochter wurde im Jahre 2015 von einer einfahrenden U-Bahn erfasst und kam infolgedessen ums Leben. Die konkreten Umstände des Unglücks sind bis heute ungeklärt. Die Mutter erhofft sich durch den Zugang auf das Facebook-Konto ihrer verstorbenen Tochter vor allem Gewissheit darüber, ob ihre Tochter kurz vor ihrem Tod Suizidgedanken hegte.
Der Führer der U-Bahn behauptet in einem gegen die Mutter geführten Schadensersatzprozeß jedenfalls, ihre fünfzehnjährige Tochter habe Suizid begangen.
In der ersten Instanz hat das Landgericht Berlin Facebook verurteilt, der Mutter Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto der Tochter und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren. Gegen dieses Urteil hat Facebook Berufung eingelegt.
Das Kammergericht Berlin hat in zweiter Instanz auf die Berufung mit Urteil vom 31.05.2017 zu Gunsten von Facebook entschieden und die Klage der Mutter abgewiesen und damit zugleich das Urteil des Landgerichts Berlin abgeändert.
Das Kammergericht Berlin war der Auffassung, dass das Fernmeldegeheimnis, das die Kommunikationspartner vor der Kenntnisnahme ihrer Kommunikationsinhalte durch Dritte schützt, dem Zugriff der Erben insbesondere auf die Chat-Inhalte entgegenstehe.
Auf die Revision der Mutter hat der BGH das Urteil des Kammergerichts nun aufgehoben und festgestellt, dass beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf dessen Erben übergehe und dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegenstünden.
Der BGH stellt zunächst fest, dass der Erbe aufgrund des in § 1922 BGB geregelten Grundsatzes der Gesamtrechtsnachfolge grundsätzlich uneingeschränkt in die Rechtsbeziehungen des Erblassers eintrete – auch in die zu Providern. Dass damit den Erben ein Zugang zu digitalen Inhalten verschafft werde, mache hierbei keinen Unterschied, denn es gebe keinen Grund, den digitalen Nachlass anders zu behandeln als den analogen.
So wurde auch bisher schon in der Literatur die Auffassung vertreten, dass an der Vererbung eines E-Mail-Accounts ein besonderes Interesse des Erben bestehe, da in der heutigen Zeit viele Rechtshandlungen nur per E-Mail erfolgten. Das E-Mail-Konto bilde ein Digitalarchiv, das zunehmend die papiernen Vertragsunterlagen im Aktenordner des Erblassers ersetzten. Die Einsichtnahme in den gesamten E-Mail-Bestand sei für den Erben unerlässlich, um sich einen Überblick über laufende Rechtsverhältnisse sowie bestehende Rechtslagen des Erblassers zu verschaffen und um unverzüglich handeln zu können.
Der BGH vertritt des Weiteren die Auffassung, dass bei der Erbrechtsnachfolge in E-Mail- oder Facebook-Accounts eine Differenzierung nach vermögenswerten und höchstpersönlichen Inhalten ausscheide. So gingen nach der gesetzgeberischen Wertung auch Rechtspositionen mit höchstpersönlichen Inhalten auf die Erben über. Dies sei zum Beispiel bei Tagebüchern und Briefen der Fall. Es bestehe daher aus erbrechtlicher Sicht kein Grund dafür, digitale Inhalte anders zu behandeln.
Entgegen der Auffassung des Kammergerichts vertritt der BGH die Auffassung, dass das Fernmeldegeheimnis einer Vererblichkeit des Facebook-Accounts nicht entgegenstehe. Da der Erbe – juristisch betrachtet – vollständig in die Position des Erblassers eintrete und er jedenfalls nicht “anderer” im Sinne des § 88 Absatz 3 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sei. Dort ist geregelt, dass eine Verwendung der Kenntnisse vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation für andere Zwecke, insbesondere die Weitergabe an andere, nur zulässig ist, soweit das TKG oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht.
Schließlich verneinte der BGH eine Anwendbarkeit des Datenschutzrechts zu Recht mit dem Argument, dass dieses nur lebende Personen schützte.
Eingestellt am 16.04.2020 von S.Gress
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